<p style="">Wer seine Gefühle zu Papier bringt, baut nicht nur Druck ab, sondern stärkt auch seine <strong>mentale Gesundheit</strong> und verbessert die körpereigenen Selbstheilungskräfte. Zwei Expertinnen erklären die Hintergründe – und geben Tipps zum Ausprobieren</p> <p style="">Beim Thema Schreiben denken die meisten an Einkaufszettel, berufliche E-Mails oder schnelle Textnachrichten am Smartphone. Regelmäßig Tagebuch führen die wenigsten Erwachsenen. Das ist schade, denn Schreiben birgt viel Potenzial für die körperliche und seelische Gesundheit.</p> <h2 id="wertvolle-ergaenzung-bei-einer-medizinischen-therapie">Wertvolle Ergänzung bei einer medizinischen Therapie</h2> <p style="">„Schreiben kann uns dabei helfen, Gefühle zu verarbeiten, die eine Krankheit auslöst, sowie Belastungen auszuhalten, die sich überhaupt erst durch die Behandlung ergeben“, fasst Silke Heimes zusammen. Die Ärztin für Psychiatrie ist Professorin für Journalistik an der Hochschule Darmstadt, Schreibtherapeutin und Autorin. In ihrem Buch „Ich schreibe mich schlank“ (dtv, 272 S., 18 €; siehe zudem Buchtipp auf S. 61) widmet sie sich einem Thema, das viele Menschen umtreibt: dem Gewicht.</p> <p style="">„Schreibend werden Sie herausfinden, welche Art der Ernährung und Bewegung Ihrem Körper guttut und zu einem Gewicht führt, mit dem Sie sich wohlfühlen. Ganz ohne Diät und Jo-Jo-Effekt.“ Denn wer etwas verändern möchte, muss den Ist-Zustand kennen und verstehen, wie es dazu kam. Bei dieser Selbstbeobachtung hilft Schreiben. Auch all die anderen positiven Effekte des regelmäßigen Aufschreibens sind wissenschaftlich gut erforscht.</p> <h2 id="mehr-als-150-studien-bestaetigen-die-heilsame-wirkung">Mehr als 150 Studien bestätigen die heilsame Wirkung</h2> <p style="">Als Pionier des therapeutischen Schreibens gilt James Pennebaker, ein US-amerikanischer Professor für Psychologie an der University of Texas in Austin. Laut seiner Studien sind Erstsemesterstudenten besser gelaunt, gesünder und müssen seltener zum Arzt, wenn sie über ihren Wechsel ans College schreiben – anders als diejenigen, die sich nur über oberflächliche Themen auslassen. Das Erstaunlichste dabei ist, dass man für eine Wirksamkeit keine Romane schreiben muss: Es reicht, an vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 20 Minuten lang seine Gedanken zu Papier zu bringen.</p> <p style=""><strong>Gut erforscht.</strong> Pennebakers Methode, das „expressive Schreiben“, gilt als die am besten untersuchte Schreibtherapie: Über 150 Studien belegen für diese Methode, dass sie etwa das Immunsystem stärkt, die Antikörperantwort nach Impfungen erhöht und die Funktion von Lunge und Leber verbessert. Nach einem Infarkt kann Schreiben die Herzgesundheit so fördern, dass die Patientinnen und Patienten weniger Medikamente einnehmen müssen. Darüber hinaus stärkt es die psychische Gesundheit, indem es depressive Symptome verringert, die Stimmung hebt und die Leistungsfähigkeit verbessert.</p> <h2 id="wort-fuer-wort-kommen-koerper-und-seele-wieder-in-einklang">Wort für Wort kommen Körper und Seele wieder in Einklang</h2> <p style="">Bis heute kann man noch nicht genau messen, wie das Schreiben auf den Körper wirkt. „Wir wissen aus Studien, dass der Blutdruck sinkt oder die Stresshormone abnehmen“, bestätigt Prof. Heimes. „Die Effekte sind aber so gering, dass man sie auch durch Meditieren oder Ruhig-Hinsetzen erreichen könnte.“ Beim Schreiben muss also mehr passieren.</p> <p style="">Es entfacht seine Wirkung vor allem über die Psyche. Vielleicht kennen Sie das: Wenn man sich etwas von der Seele schreibt, wird nicht nur der Geist, sondern auch der Körper entlastet. „Alle Krankheiten betreffen nämlich immer Körper und Seele gleichermaßen. Der Gedanke, dass beides getrennt voneinander funktioniert und behandelt werden muss, ist Unsinn und steht einer Gesundung im Weg“, so die Expertin weiter. Das heißt, wenn die Seele mit sich im Einklang ist, bekommt auch der Körper neue Kraft.</p> <h2 id="man-hat-eine-neue-sicht-auf-die-dinge-behaelt-die-faeden-in-der-hand">Man hat eine neue Sicht auf die Dinge, behält die Fäden in der Hand</h2> <p style="">„Ich vergleiche das, was beim Schreiben passiert, immer mit einem Bagger, der einen Teichboden aushebt. Das Wasser wirbelt alles durcheinander, es wird vielleicht chaotisch. Irgendwann setzt sich aber alles ab, und ein neues Gefüge entsteht. Man gewinnt neue Perspektiven“, erläutert die Schreibtherapeutin Doris Hönig aus der Nähe von Lübeck, die auch Onlinekurse zur „Heilenden Kraft des Schreibens“ anbietet (<a href="http://doris-hoenig.de" target="_blank">doris-hoenig.de</a>).</p> <p style="">Allein dadurch, dass man negative Emotionen niederschreibt, schwächen sie sich schon ab. „Das ist eine ganz bekannte Wirkung der Schreibtherapie“, sagt Doris Hönig. Denn beim Schreiben wird klar, dass man Situationen nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern selbst etwas tun kann. „Dieser Effekt ist einer der wichtigsten der Schreibtherapie, auch wenn es um das Thema Gesundschreiben geht“, bestätigt auch die Ärztin Silke Heimes. „Durch das Schreiben wird uns bewusst, dass wir viel für unsere eigene Gesundheit tun können.“</p> <h2 id="taegliche-schreibroutine-ist-hervorragende-praeventionsarbeit">Tägliche Schreibroutine ist hervorragende Präventionsarbeit</h2> <p style="">Das funktioniert auch vorbeugend: „Meiner Meinung nach ist Schreiben die Basis für ein gesundes Leben“, so Doris Hönig. Es hilft, die Bedürfnisse des Körpers zu entdecken. Um gesund zu bleiben, sollte man regelmäßig zwei Fragen schriftlich beantworten: Wie geht es mir gerade? Und was brauche ich im Moment? „Dadurch wird einem bewusst, ob man eher Ruhe, Bewegung, eine Umarmung oder ein kuschliges Bett benötigt. Wer diese Bedürfnisse dann ernst nimmt und erfüllt, stärkt unmittelbar seine Gesundheit“, ergänzt Prof. Heimes.</p> <p style="">Auch bei der Bewältigung ernster Erkrankungen hilft eine Schreibtherapie. Die Arbeit mit Stift und Papier trägt durch depressive Phasen, gibt Kraft für anstrengende Therapien und stärkt die Selbstheilungskräfte. Doris Hönig, die zahlreiche Schreibseminare im Auftrag der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft abhält, kann das bestätigen: „Durch die Schreibübungen fühlen sich meine Klienten und Klientinnen der Situation weniger ausgeliefert. Das setzt positive Energien frei, welche die Genesung unterstützen.“</p> <h2 id="schreiben-als-zugang-zu-krankheit-und-beschwerden">Schreiben als Zugang zu Krankheit und Beschwerden</h2> <p style="">Ihre Seminare beginnt die Schreibtherapeutin in der Regel mit einer Achtsamkeitsübung. So regt sie beispielsweise die Teilnehmer an, sich fünf Minuten lang einen Ort vorzustellen, an dem sie sich richtig wohlfühlen. Danach stellt sie verschiedene Aufgaben, etwa, einen Brief an sich selbst zu schreiben zum Thema, was Akzeptanz im eigenen Leben bedeutet. Oder sie ermutigt dazu, den Satz „Es ist zwar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber …“ zehn Minuten lang mit unterschiedlichen Aussagen zu beenden. „Dieser Satz ist toll, weil er zeigt, dass selbst das größte Unglück noch positive Seiten hat“, erklärt Doris Hönig.</p> <p style=""><strong>Perspektive ändern.</strong> Schmerzen und gesundheitliche Beschwerden können aber auch nachlassen, wenn man einfach einmal in eine Fantasiewelt eintaucht, durch die das Leid in den Hintergrund tritt. „Das funktioniert etwa, indem man mit dem Satz ‚Heute scheint die Sonne …‘ anfängt und alles niederschreibt, was einem dazu in den Sinn kommt“, sagt Prof. Heimes. „Schreibend können Sie einen Zugang zu Ihrer Krankheit und Ihren Beschwerden bekommen und erfahren, für was sie stehen“, so die Medizinerin.</p> <h2 id="wichtig-man-sollte-sich-mit-der-technik-wohlfuehlen">Wichtig – man sollte sich mit der Technik wohlfühlen</h2> <p style="">Beschwerden und Probleme lassen sich mittels zahlreicher Schreibtechniken bearbeiten (siehe Info-Kasten rechts). Das Wichtigste ist, dass sich die Methode auch gut anfühlt. Anfängern fällt das Schreiben oft leichter, wenn sie ein Tagebuch mit vorgedruckten Fragen ausfüllen. „Es kann durchaus auch sein, dass einen das Schreiben aufwühlt. Wenn es zu heftig ist, sollte man den Stift beiseitelegen, ein paar Mal tief durch atmen und erst nach einer Pause weiterschreiben“, empfiehlt Expertin Doris Hönig. „Ein, zwei Stunden nach der Übung löst sich die melancholische Stimmung meist auf und lässt uns mit einer Erkenntnis zurück.“</p> <p style=""></p> <h2 id="schreibtechniken-im-ueberblick">Schreibtechniken im Überblick</h2> <ol> <li style=""><strong>Freies Schreiben</strong></li> </ol> <p style="">Hier bringt man alle Gedanken ungefiltert auf das Papier oder beantwortet für sich eine konkrete Frage (Beispiele auf Seite 60). Zu der Methode zählt auch das „expressive Schreiben“ nach Professor Pennebaker, bei dem man an vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 20 Minuten lang frei schreibt. Bei Bedarf den Zyklus wiederholen. „Das freie Schreiben entlastet und hilft, sich Gedanken und Gefühle bewusst zu machen“,sagt die Schreibtherapeutin Doris Hönig. „Auf diese Weise entsteht oft eine neue Perspektive, und Lösungsmöglichkeiten tun sich auf.“</p> <ol> <li style=""><strong>Briefe adressieren</strong></li> </ol> <p style="">Bei dieser Technik verfasst man einen Brief an eine Krankheit, seine Angst, sich selbst oder einen anderen Menschen. Wichtig: vor dem Loslegen unbedingt beschließen, dass man den Brief keinesfalls abschickt, nur dann schreibt man wirklich ehrlich. Das Briefeschreiben hilft sehr gut bei zwischenmenschlichen Problemen, gerade wenn ein Gespräch nicht möglich ist, weil man schwere Differenzen hat oder der andere womöglich nicht mehr lebt. „Es erleichtert die Seele stark. Oft wird einem dadurch bewusst, dass Emotionen weniger mit anderen zu tun haben als mit einem selbst“, fasst die Schreibtherapeutin Doris Hönig die positive Wirkung zusammen.</p> <ol> <li style=""><strong>Serielles Schreiben</strong></li> </ol> <p style="">Dabei schreibt man rund zehn Minuten lang ganz oft hintereinander den gleichen Satzanfang, den man dann immer anders beendet. Also etwa „Es ist vielleicht nicht das, was ich mir vorgestellt habe, aber …“ oder „Ich fühle mich gerade einsam (oder habe Angst), aber …“. Das serielle Schreiben hilft, sich auf etwas zu fokussieren und immer tiefer ins Unterbewusste vorzudringen. „Es ist eine Art Selbsthypnose, in der wir unverstandenen Gefühlen auf die Spur kommen“, so Doris Hönig. „Dabei ist ganz wichtig, den Satzanfang jedes Mal ungekürzt zu schreiben. In der Zeit kommen wieder neue Gedanken nach oben. Meine Klienten und Klientinnen sind immer ganz erstaunt, was sie dadurch erfahren.“</p> <ol> <li style=""><strong>Dialoge verfassen</strong></li> </ol> <p style="">Auch das ist eine gute Methode, wenn man mit anderen Personen eine Meinungsverschiedenheit hat. Man kann aber auch mit sich selbst einen Dialog führen. „Im Unterschied zu den Briefen geht es hier darum, den anderen zu erreichen und von ihm eine Antwort zu bekommen“, erklärt Expertin Hönig. „Wichtig ist der Wille nach Verständigung. Man sollte immer einmal mehr nachfragen, statt mit Vorwürfen zu kommen.“ Dadurch erfahren wir, wie wir den anderen einschätzen. Es hilft, den Blickwinkel zu ändern, weiß die Schreibtherapeutin. Nach der Übung sucht das Unterbewusstsein Lösungen für den Konflikt. Das eröffnet Chancen für ein reales Gespräch.</p> <ol> <li style=""><strong>Listen führen</strong></li> </ol> <p style="">Die bekannteste ist die Pro- und-Contra-Liste, die bei Entscheidungen hilft. Man kann aber auch zehn Minuten lang Listen zu den Themen „Was mich entspannt“ oder „Was mich glücklich macht“ schreiben. Das kann den Fokus auf positive Dinge lenken und dem Leben eine erfreuliche Wendung geben.</p> <ol> <li style=""><strong>Clustern</strong></li> </ol> <p style="">Wer den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, dem bringt diese Technik Klarheit. Von einem Wort in der Mitte aus entwickelt man eine Mindmap. Das heißt, man schreibt alles auf, was einem dazu einfällt, und setzt das Wort mit anderen Begriffen in Verbindung. Doris Hönig: „Dadurch erkennt man, was wie zusammenhängt, und entdeckt Lösungen.“</p>