<p style="">Sicherlich ist es auch genetisch bedingt, wenn jemand faltenlos altert, offensichtlich spielend schlank bleibt oder die Gelenke lange wie geschmiert funktionieren. Umgekehrt lassen sich hoher Blutdruck, Ängste oder Depressionen auch auf Erbanlagen zurückführen. Schließlich werden wir bei jedem Arztbesuch nach familiären Krankheiten gecheckt.<em> „Doch der Mensch ist viel mehr als die Summe seiner Erbanlagen“</em>, sagt <strong>Prof. Michaela Döll</strong>, Ernährungswissenschaftlerin und Expertin für zivilisatorisch bedingte Krankheiten. Grund zu dieser Annahme liefert ein Forschungszweig der Biologie: die Epigenetik. Immer mehr Untersuchungen weisen nach, dass wir Veranlagungen meist keineswegs hilflos ausgeliefert sind. <em>„Unser gesundheitliches Schicksal ist weniger festgelegt, als wir glauben“</em>, weiß Expertin Döll. Durch einen gesunden Lebenswandel, vor allem aber durch positive Gefühle wie Freude und Dankbarkeit lassen sich die guten Gene aktivieren – sogar bis ins hohe Alter. Umgekehrt kann man durch wenig Bewegung oder falsche Ernährung gute Gene schädigen. BUNTE Gesundheit sprach mit der Wissenschaftlerin über die überraschende Wandlungsfähigkeit unseres Erbguts.</p> <p style=""><strong><em>Frau Professor Döll, Epigenetik, das klingt erst mal kompliziert – nach Chromosomen und Biologieunterricht. Können Sie erklären, worum es dabei geht?</em></strong></p> <p style="">Die Epigenetik ist eine Zusatzgenetik und steht über dem, was wir von Vater und Mutter an unveränderbarem Erbgut mitbekommen haben. Zum fixen Erbgut gehören zum Beispiel Mutationen wie die Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2. Gegen die kann ich nichts unternehmen. Die Epigenetik liefert uns jedoch Stellschrauben, die wir verändern können. Wenn Ihr Vater mit 50 Jahren einen Schlaganfall erlitten hat, dann haben Sie auch ein erhöhtes Risiko, eine HerzKreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Aber das ist keineswegs festgeschrieben.</p> <p style=""><strong><em>Was beeinflusst unsere Gene?</em></strong></p> <p style="">Im negativen Sinne schlechte Ernährung, Bewegungsmangel, Giftbelastungen wie Rauchen, traumatische Ereignisse, Stress – im positiven Sinne Bewegung, gesundes Essen, Zuwendung, füreinander da sein, geistige Aktivitäten, Dankbarkeit, Entspannung. All diese Faktoren sind in der Lage, Gene zu regulieren. Denn von den 23 000 Genen, die wir in jeder Zelle haben, sind nur etwa zehn Prozent aktiv. Jetzt geht es darum, welche das sind – und wie ich die guten Gene aktivieren kann.</p> <p style=""><strong><em>Es sind also die bekannten Lebensstilfaktoren. Viel Gemüse essen hält bestimmt auch die Gene fit, oder?</em></strong></p> <p style="">So ist es. Eine pflanzliche Kost sollte einen Großteil unseres Essens ausmachen. Man weiß, die Ernährung hat einen immensen Einfluss auf unsere Gesundheit. Die Forschung bestätigt auch, dass Lebensmittel Stoffe beinhalten, die in der Lage sind, Geninhalte neu zu programmieren. Das sehen wir zum Beispiel an den Honigbienen. Beim Bienenvolk sind erst einmal alle als Larven unterwegs und dann wird eine künftige Königin ausgewählt – und diese Königin bekommt das sehr wertvolle Gelée royale, ein reichhaltiges Sekret aus den Kopfdrüsen der Arbeiterinnen. Die anderen Larven werden mit Honig, Pollen oder minderwertigen Nahrungsmitteln versorgt. Allein die Tat sache, dass die künftige Königin das Gelée royale bekommt, trägt dazu bei, dass sie größer und auch älter wird als die anderen Larven. Da sieht man, was allein die Nahrung bewirken kann.</p> <h2 id="ein-guter-lebensstil-kann-sogar-traumata-regulieren">Ein guter Lebensstil kann sogar Traumata regulieren</h2> <p style=""><strong><em>Was kann man davon auf den Menschen übertragen? Wann fängt die Bildung unseres Genmaterials tatsächlich an?</em></strong></p> <p style="">Die Beeinflussung der DNA beginnt bereits im Mutterleib. Das heißt, die Versorgung von Mutter und Kind während der Schwangerschaft spielt eine große Rolle. Sowohl Überernährung als auch Unter- und Fehlernährung können Auswirkungen haben. Manche Forscher vermuten mittlerweile sogar einen Zusammenhang von zu viel Junkfood bei Müttern und ADHS bei Kindern. Ein anderes Beispiel: In großen Studien hat man festgestellt, dass Frauen, die während des Hungerwinters 1944/45 in Holland schwanger waren, Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht gebaren. Ein Teil der Kinder blieb ein Leben lang schmächtig, ein anderer Teil wurde später jedoch häufig übergewichtig und neigte zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2. Das umgekehrte Phänomen: Die Schwangeren essen zu viel und zu ungesund – auch das kann bei Kindern zu Fett- und Stoffwechsel störungen führen.</p> <p style=""><strong><em>Sie schreiben, dass auch Traumata und Schicksalsschläge bis in die dritte Generation weitergegeben werden können. Das klingt nicht optimistisch. Dann leiden wir heute noch unter den Kriegserfahrungen unserer Großeltern?</em></strong></p> <p style="">Kriege, Gefangenschaft, Hunger oder andere schwere Bedrohungen können tatsächlich bei Menschen posttraumatische Belastungsstörungen auslösen, die an die nächste und sogar an die übernächste Generation weitergegeben werden können. Doch so schlimm das Erlebte war: Eine gute Lebensweise kann die Gene so regulieren, dass mein Kind nicht auch noch diesen Stempel in sich trägt – auch dazu gibt es wissenschaftliche Daten.</p> <p style=""><strong><em>Demnach kann man so etwas wie ein Familienschicksal wiedergutmachen?</em></strong></p> <p style="">Wirklich schwere Traumata muss man natürlich mit wirksamen Therapien bearbeiten. Aber Gott sei Dank sind auch hier die epigenetischen Stellschrauben an unserem Erbgut reversibel. Es kommt deshalb auch auf uns und unsere innere Haltung zum Leben an. Gehirn-Scans aus den USA zeigen, dass in bestimmten Arealen durch positive Gedanken, Wertschätzung und Dankbarkeit Veränderungen hervorgerufen werden können. Andere bekannte Studien aus den USA bestätigen zum Beispiel, dass eher optimistisch eingestellte Menschen ein geringeres Risiko für Herzerkrankungen haben.</p> <p style=""><strong><em>Ist das Glas halb voll oder halb leer – die Sicht auf die Dinge prägt das Erbgut?</em></strong></p> <p style="">Wenn ich mit Ärger und Groll herumlaufe, schade ich meinem Organismus mehr, als wenn ich mich auch einmal arrangiere oder einen grundsätzlich eher positiven Blick aufs Leben habe. Wir wissen: Belastungen schädigen das Erbgut, auch dauernder Stress und Groll haben einen Einfluss darauf, folglich ist davon auszugehen, dass Zufriedenheit, Freude und das halb volle Glas auch etwas mit den Genen machen beziehungsweise diese positiv beeinflussen.</p> <p style=""><strong><em>Was, wenn ich von der Veranlagung her unter starken Ängsten leide? Gibt es Nachweise, dass Therapien die epigenetischen Stellschrauben verändern?</em></strong></p> <p style="">Es gibt tatsächlich Menschen, die von Natur aus ängstlicher sind – und auch hier besteht die Möglichkeit, zum Beispiel durch positives Denken, die Gene positiv zu beeinflussen. Leider wird manchmal auch während der Schwangerschaft durch ängstliche Mütter die nachteilige Genregulation schon an die nächste Generation weitergegeben. Dieses Phänomen fällt für mich auch unter die sogenannte German Angst, die ich in meinem Buch ausführlich beschreibe.</p> <p style=""><strong><em>Mental Health gewinnt in der Gesundheitsvor sorge immer mehr Beachtung. Wenn ich einen Schicksalsschlag verarbeiten muss – wie halte ich mich psychisch stabil und verhindere das Risiko einer epigenetischen Markierung?</em></strong></p> <p style="">Psychische Belastungen können tatsächlich von weitreichender Tragweite für unsere Gesamtgesundheit sein. So können Gene aktiviert werden, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und/oder Depressionen begünstigen. Man sollte in diesen Fällen nach Möglichkeiten der Selbstfürsorge suchen, für mehr Ausgleich und Entspannung sorgen und üben, auch einmal Nein zu sagen. Das alles reduziert die Gesamtbelastung. Ein weiteres positives Forschungsergebnis diesbezüglich entdeckten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Sie konnten zeigen, dass auch Gene des Cortisolstoffwechsels – und damit die Verarbeitung von Stress – in unterschiedlichem Maße von psychischen Belastungen betroffen sein können. Die Forscher sehen hier eine Chance, durch die Untersuchungen des Genoms das Risiko gefährdeter Menschen rechtzeitig einzuschätzen und damit besser behandeln zu können.</p> <h2 id="optimismus-und-neugierde-sind-booster-fuer-das-erbgut">Optimismus und Neugierde sind Booster für das Erbgut</h2> <p style=""><strong><em>Dann lebe ich psychisch stabiler und werde gesünder alt. Kann ich durch einen bestimmten Lebensstil vielleicht sogar einer Demenz vorbeugen?</em></strong></p> <p style="">Demenz ist eine multifaktorielle Erkrankung, deren Entstehung nicht nur auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist. Zum Beispiel können nur zwei Prozent aller Alzheimer-Demenzen über die Genetik erklärt werden. Man kann davon ausgehen, dass viele äußere Risikofaktoren eine Rolle spielen, die ihrerseits Gene regulieren. Bluthochdruck, Rauchen, ein zu hoher Zuckerkonsum und Übergewicht.</p> <p style=""><strong><em>Das Übergewicht steht ja gerade sehr unter Beschuss. Sind überflüssige Kilos tatsächlich so gesundheitsschädlich?</em></strong></p> <p style="">Ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften schaden nichts, wenn die Ernährung ausgewogen ist und man sich ausreichend bewegt. Es gibt Studien, die zeigen, dass jemand mit leichtem oder mäßigem Übergewicht und sportlicher Aktivität eine höhere Lebenserwartung hat als ein Schlanker, der sich nicht bewegt. Es müssen immer mehrere Faktoren zusammenkommen. Ich bin deshalb auch grundsätzlich vorsichtig mit rigiden Ratschlägen. Trotzdem muss ich sagen: Körperlich aktiv zu bleiben und eine gesunde, pflanzenbetonte Kost gehören zu den besten Möglichkeiten, um das Erbgut günstig zu beeinflussen.</p> <p style=""><strong><em>Wie viel Bewegung sollte es sein?</em></strong></p> <p style="">Von Diktaten wie fünfmal wöchentlich 50 Minuten joggen halte ich persönlich gar nichts. Wenn einer darauf keine Lust hat, dann hört er nach einer Woche wieder auf. Was man sich vornimmt, sollte auch Freude bereiten! Tanzen, Laufen, Radfahren, Wandern, Walken, ganz egal.</p> <p style=""><strong><em>Noch mal zusammengefasst, was sind aus epigenetischer Sicht die wichtigsten Faktoren?</em></strong></p> <p style="">Eine ausgewogene Ernährung, mehr Bewegung, eine positive innere Haltung und – auch nicht zu vergessen – sich geistig fit zu halten. Bleiben Sie neugierig und interessiert an der Welt. Man muss nicht gleich eine neue Fremdsprache lernen, man kann auch ein gutes Buch lesen oder eine Ausstellung besuchen.</p> <p style="">INTERVIEW: SUSANNE FETT</p>