<h2 id="aufmerksamkeitsprobleme-das-ist-normal-der-alltag-im-digitalen-ueberfluss-macht-es-schwer-bei-einer-aufgabe-zu-bleiben-wie-sie-sprunghafte-gedanken-zaehmen"><strong>Aufmerksamkeitsprobleme?</strong> Das ist normal. Der Alltag im digitalen Überfluss macht es schwer, bei einer Aufgabe zu bleiben. Wie Sie sprunghafte Gedanken zähmen</h2> <p style="">Manchmal braucht es Einfallsreichtum, um konzentriert arbeiten zu können. Das zeigt ein Blick in die Schreibstuben großer Schriftsteller. Der irische Literaturnobelpreisträger <strong>George Bernard Shaw</strong> arbeitete in einer kleinen Hütte auf einer Plattform, die sich drehen ließ – damit zu jeder Tageszeit Sonnenlicht durchs Fenster fiel. <strong>Marcel Proust</strong> verwandelte das Arbeitszimmer in seiner Pariser Sechszimmerwohnung mit Korkwänden in einen schallisolierten Raum. Und <strong>Friedrich Schiller</strong> ließ Äpfel in der Schreibtischschublade faulen – weil der Geruch wohl seine Kreativität anregte.</p> <p style="">Die Realität des modernen Büromenschen sieht oft anders aus. Bleibt er länger bei einer Aufgabe, macht ein Blick in die Programme des Computers die Konzentration wieder zunichte: Immer neue Mails häufen sich an. Die Uhr am Rechner zählt den Countdown zu einem Konferenztermin, ein weiterer Dienst zeigt zwei verpasste Anrufe. Hier hilft auch die Abgeschiedenheit einer korkversiegelten Schreibstube nichts.</p> <p style="">Eine Herkulesaufgabe für das Gehirn, das ohnehin pausenlos gefordert ist, weil über die Sinnesorgane Signale eintreffen. Gerüche, Geräusche, Bilder – Tausende pro Sekunde. Nur die wichtigsten sind es wert, wirkliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch das Superorgan ist durchaus dazu fähig, diese zu teilen. „Sonst könnten wir, wenn wir im Auto sitzen, ja eventuell einen Fußgänger übersehen, weil wir in eine Radiosendung vertieft sind“, erklärt <strong>Prof. Volker Busch</strong>, Neurologe und Psychiater aus Regensburg. „<em>Das Alarmsystem, das uns aus der Aufmerksamkeit reißt und zum Umswitchen zwingt, ist prinzipiell etwas Gutes. Aber es ist wie immer im Leben eine Sache der Dosis“</em>, sagt der Ratgeberautor.</p> <p style="">Denn zu viel Ablenkung, die – wie im Büroalltag – ständiges Umschalten erfordert, kann auch schaden. <em>„Das führt dazu, dass wir überall ein bisschen aktiv sind, aber nirgends richtig, und dann verschlechtert sich die Leistung. Wir machen mehr Fehler, brauchen für eine Aufgabe deutlich länger, arbeiten weniger effizient. Man kehrt unzufriedener abends nach Hause zurück, weil man das Gefühl hat, vieles angefangen, aber nichts richtig zu Ende gebracht zu haben.“</em></p> <p style="">Doch es gibt Möglichkeiten, die Konzentration zu verbessern. Meist reicht bei vielen Menschen eine defensive Strategie, so Prof. Busch: <em>„Die ganzen Ablenkungen um sie herum herunterfahren oder zumindest reduzieren. Dann beobachtet man häufig, dass sich die Konzentration von ganz allein entfaltet.“</em> <strong>Prof. Franziska Lautenbach</strong>, Leiterin der Abteilung Sportpsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, empfiehlt ein „Taschenlampen-Modell“: <em>„Es hilft, wenn ich mir vorstelle, dass ich den Lichtkegel meiner Aufmerksamkeit auf einen begrenzten Bereich lenke. Etwa auf ein PC-Programm. Wie ein Fußballer beim Elfmeter sich nur auf sich und den Ball konzentriert.“</em></p> <p style="">Dennoch driften die Gedanken irgendwann ab. <em>„Ich kann mich nicht stundenlang konzentrieren, das funktioniert nicht. Das muss ich akzeptieren“</em>, so Franziska Lautenbach. Die Zeit, die man ganz fokussiert bei einer Aufgabe bleiben kann, ist oft kürzer als angenommen. Über den Daumen gepeilt: <em>„Das Lebensalter in Minuten mal zwei genommen“</em>, sagt Volker Busch. <em>„Das heißt, ein 15-Jähriger bräuchte eigentlich nach einer halben Stunde eine Pause, wenn er einen Text schreibt oder eine Matheaufgabe löst. Bei einem 40-Jährigen sind es etwa anderthalb Stunden.“</em> Allerdings ist das auch schon das Maximum. Meist lässt die Konzentration bis dahin schleichend nach. <em>„Wir können messen, dass schon nach 30 Minuten die Fehlerrate bei Erwachsenen leicht zunimmt – bei Kindern sogar früher. Nach 45 Minuten wird sie größer, nach 90 Minuten ist sie so hoch, dass eine Pause nötig wäre.“</em></p> <p style="">Es macht aber auch einen Unterschied, ob man die ungeliebte Matheaufgabe bearbeitet oder vielleicht ein Tennisturnier hat, auf das man sich sogar freut. <em>„Motivation spielt eine große Rolle“</em>, betont Volker Busch. <em>„Es hängt auch sehr stark davon ab, wie komplex das ist, auf das ich mich konzentriere, wie schwer mir das fällt, wie viel Erfahrung ich in der Sache habe.“</em> Manche Rahmenbedingungen lassen sich außerdem gut beeinflussen. Folgende Tipps stärken die Konzentrationsfähigkeit:</p> <p style=""><strong>Störenfriede verbannen</strong></p> <p style="">Die größte Ablenkung trägt fast jeder mit sich herum. Sie ist kaum größer als ein Portemonnaie und gibt mit Vibrieren oder Aufleuchten immer wieder Zeichen – dass eine Nachricht wartet, eine Mail, ein sekundenkurzes Video. Etwas, das Aufmerksamkeit verdient. Am besten sofort. Und kaum einer widersteht. Bis zu 80-mal schaut ein Mensch täglich auf sein Smartphone, im Schnitt jede Viertelstunde, fanden Forscher der Universität Bonn heraus. Kein Wunder, denn das regt die Produktion von Dopamin im Körper an, einem Glücksbotenstoff, den das Gehirn in Aussicht auf eine Belohnung ausschüttet.</p> <p style="">Selbst wenn es in die Schublade verbannt wird, zieht das kleine Gerät Aufmerksamkeit auf sich. Und kann sogar für einen ganzen Hörsaal voller Menschen zum großen Störfaktor werden. Expertin Franziska Lautenbach erzählt, was das plötzliche Klingeln während einer Vorlesung bewirkte: <em>„Die Leistung der Studenten wurde danach 20 Prozent schlechter. Das ist enorm.“</em> Kein Problem wäre es gewesen, wenn jemand nur einen Witz gemacht hätte, über den alle lachen, sagt die Wissenschaftlerin: <em>„Aufmerksamkeit lässt sich mit einem Gummiband vergleichen, das zwischen den Fingern gespannt ist, damit Sie sich konzentrieren können. Und irgendwann müssen Sie das auch lockern, bevor es reißt.“</em> Das geht gut mit Humor, selbst mal mit einem lustigen Tiervideo auf TikTok. <em>„Ich muss dann aber wieder den Weg zurück zur Aufgabe finden und dafür sind die sozialen Medien ja einfach nicht gemacht.“</em> Statt nur kurz zu unterbrechen, scrollt der Nutzer dopamingetrieben von einem Filmchen zum nächsten. Wer sich konzentrieren muss, sollte das Smartphone daher aus dem Zimmer verbannen oder zumindest Funktionen wie den Flugmodus wählen. Volker Busch rät, einmal am Tag eine „tiefe Stunde“ einzulegen: <em>„Da macht man das Handy aus, nimmt keine Festnetztelefonate an, geht aber auch nicht zum Kühlschrank oder zur Toilette – und bearbeitet konzentriert Dinge, die eventuell liegen geblieben sind.“</em></p> <p style=""><strong>Atmen und achtsam sein</strong></p> <p style="">Problematisch sind Nachrichten, wenn sie starke Gefühle auslösen. <em>„Lese ich etwa eine Mail nebenbei, die mich wütend macht, bin ich emotional zu erregt, sie gleich zu beantworten. Zum anderen aber macht es die Wut schwer, mich dann auch wieder auf die Aufgabe, die ich gerade gemacht habe, zu fokussieren“</em>, sagt Franziska Lautenbach. Auch nach einem aufwühlenden Gespräch lassen sich die Gefühle nicht einfach abstellen. <em>„Ich muss das in irgendeiner Form bearbeiten und versuchen, meine Emotionen in den Griff zu bekommen. Dabei helfen Atemübungen“</em>, erklärt die Lehrstuhlinhaberin. Eine effektive Wahrnehmungs- und Achtsamkeitsübung nennt sie „3–2–1“. <em>„Dabei achte ich zum Beispiel auf drei Dinge, die ich sehe, zwei Dinge, die ich höre, und eine Sache, die ich auf meiner Haut fühle. Danach bin ich wieder ein bisschen mehr bei mir und kann mich besser regulieren. Dann erst bin ich wieder in der Lage, mich auf die Aufgabe, die relevant ist, zu fokussieren.“</em> Allerdings funktioniert das nicht in allen Situationen, etwa wenn ein Familienangehöriger einen Unfall hat. <em>„Da ist dann alles andere einfach egal.“</em></p> <p style=""><strong>Schlaf und Erholung sind die Basis</strong></p> <p style="">Eine unterschätzte Voraussetzung für Konzentration:<em> „Ich muss meine physiologischen Grundbedürfnisse erfüllen. Dazu gehört guter Schlaf“</em>, so Franziska Lautenbach. <em>„Er ist wichtig für die Regeneration, damit wir wieder kognitiv und motorisch Leistung bringen können.“</em> Wer beispielsweise einen Vortrag bis tief in die Nacht vorbereitet und früh aufsteht, wird eher schlecht performen.</p> <p style="">Genauso sollte man den Tag nicht mit Gedanken an die Arbeit ausklingen lassen, erklärt <strong>Dr. Hans-Günter Weeß</strong>, Leiter des interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster. <em>„Die Menschen entpflichten sich nicht mehr richtig. Das bedeutet, dass sie keinen Abstand zu den Aufgaben des Tages gewinnen können.“</em> Das macht es schwieriger, in den Schlaf zu finden, den inneren Akku über Nacht richtig aufzuladen. Die Konzentration am nächsten Tag leidet. Diesen Teufelskreis kann man vor allem durch eine Gewohnheit durchbrechen: <em>„Gehen Sie ins Bett, ohne an Alltag oder auch Schlaf zu denken.“</em> Das klingt paradox, ist aber aus wissenschaftlicher Sicht ein wichtiger Schritt. Hans-Günter Weeß sagt: <em>„Wer unbedingt einschlafen will, setzt sich unter Druck. Die nötige Entspannung bleibt aus.“</em> Hilfreich ist dagegen, Arbeitssorgen weit vor dem Zubettgehen abzuhaken. <em>„Machen Sie ein Abendritual daraus. Schreiben Sie Dinge nieder, wenn es hilft. Danach ist der Kopf freier.“</em></p> <p style="">Ein Tipp, damit das Gehirn nachts gut regenerieren kann: ins Bett gehen, sobald man müde ist, und morgens, sooft es geht, erst aufstehen, wenn man von selbst aufwacht – meist nach sieben bis acht Stunden und in einer Phase mit leichtem Schlaf. <em>„Zurzeit beendet ein Wecker die Nacht bei etwa 80 Prozent der Deutschen“, </em>sagt der Schlafexperte. <em>„Das Erholungsprogramm Schlaf wird dadurch vorzeitig abgebrochen.“</em></p> <p style=""><strong>Den eigenen Rhythmus finden</strong></p> <p style="">Ob man schon um acht Uhr topfit in den Arbeitstag startet, hängt auch vom Chronotyp ab. <em>„Es gibt Lerchen, die vor allem morgens früh fit sind, und die Eulen, die nachts länger wach blei</em>ben“, erklärt Hans-Günter Weeß. Die verschobenen Wachphasen haben Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. <em>„Die Konzentrationskurve ist bei beiden Typen gleich, nur zeitlich versetzt“</em>, so der Schlafforscher. Menschen, die erst nachmittags aktiv werden, sind deshalb nicht „faul“, sondern können ihr volles Leistungspotenzial frühmorgens einfach noch nicht abrufen. Sprichwörter wie das vom frühen Vogel, der den Wurm fängt, hält Hans-Günter Weeß daher für längst überholt. Ändern lässt sich an der inneren Uhr nämlich nichts. <em>„Der Chronotyp ist biologisch bedingt. Menschen sind daher am produktivsten, wenn sie im Einklang mit ihrem Lerchen- oder Eulendasein leben.“</em></p> <p style="">Das gilt auch fürs Klassenzimmer. Generell fängt die Schule zu früh an, um Schüler aus der Konzentrationsreserve zu locken. <em>„In der Pubertät sind wir am eulenartigsten“</em>, weiß HansGünter Weeß. Es gibt sogar Gymnasien, die ein Gleitzeitsystem eingerichtet haben – die sind aber die Ausnahme. Ein Rädchen ließe sich eventuell trotzdem drehen, um gerechte Voraussetzungen zu schaffen. <em>„Man könnte die Zeit der Klassenarbeiten anpassen. Laut Studien ist elf Uhr der Zeitpunkt, an dem sich beide Typen gleich gut konzentrieren können. Für eine Klausur würde also mehr Chancengleichheit herrschen.“</em></p> <p style=""><strong>Bewegung für den Geist</strong></p> <p style="">Ideal, wenn die Klausur direkt an eine Pause anschließt, in der Zeit für einen 15- bis 20-minütigen, flotten Spaziergang ist. <em>„Bewegung in einer leichten bis mittleren Intensität hat einen positiven Einfluss auf die Aufmerksamkeit“</em>, erläutert Sportpsychologin Franziska Lautenbach. <em>„Wie die Studienlage zeigt, erhöht sie für 20 bis 40 Minuten die Konzentrationsfähigkeit.“</em> Man kann irrelevante Reize besser ausblenden, schneller Entscheidungen treffen, sich Dinge besser merken. Körperliche Aktivität ist außerdem ein gutes Mittel gegen den Aufmerksamkeitskiller Stress. <em>„Leistungssportler etwa reagieren körperlich weniger stark auf Stress als Nichtsportler.“</em></p> <p style="">Vielleicht auch, weil sie trainieren, sich ganz auf ihre Aufgabe, etwa bei einem Wettkampf, zu fokussieren und Unwichtiges wie Rufe aus dem Publikum auszublenden. <em>„Wenn man das gewohnt ist, dann fällt das auch gar nicht so stark ins Gewicht, wenn von außen etwas kommt.“</em></p> <p style=""><strong>Pssst! Geräusche sind Störfaktoren</strong></p> <p style="">Im Großraumbüro brüllen vielleicht nicht die Fans der Gegnermannschaft von den Rängen, aber der Geräuschpegel lenkt trotzdem von der Arbeit ab. Dann kann man sich abschotten, ähnlich wie Marcel Proust – mit Kopfhörern. <em>„Gut sind schalldichte Modelle, wie Bauarbeiter sie gegen Lärm tragen“</em>, rät Volker Busch. Einen Versuch wert ist auch „White Noise“, Windrauschen etwa oder Regenprasseln, das aus den Hörern tönt. <em>„Durch diesen Klangteppich wird man weniger abgelenkt, allerdings kann er mit der Zeit auch nerven“</em>, bemerkt Volker Busch. Wer sie mag, kann ruhige Lounge-Musik ausprobieren. Kontraproduktiv ist dagegen deutscher Gesang. <em>„Das lenkt stark ab, da müssen Sie praktisch hinhören.“</em></p> <p style="">Und Gerüche zur Anregung, wie Friedrich Schiller sie brauchte? <em>„Hinweise auf einen Nutzen gibt es nicht.“</em> Das literarische Werk, das dabei entstand, wirkt dafür umso besser. Denn: <em>„Konzentration entwickelt sich, wenn man sie übt. Ein fantastisches Training ist Lesen.“</em> Material gibt es genug. Von Artikeln dieser Zeitschrift über Ratgeber (s. u.) bis zu den 4000 Seiten von Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.</p>