<p style=""><strong>Eine Ausbildung zum Ersthelfer für mentale Gesundheit? Kann das funktionieren? Markus Schnieber hat es ausprobiert. Ein Erfahrungsbericht</strong></p> <p style="">Was ist, wenn ein Mensch, der uns am Herzen liegt, sich verändert? Sich mehr und mehr zurückzieht. Lieber allein sein will. Gesprächen ausweicht. Bedrückt wirkt. Melancholisch. Was tue ich dann? Ich beginne, zu recherchieren. Lese Artikel, finde Statistiken. Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme erreichte in Deutschland zuletzt einen neuen Höchststand. Rund jeder vierte Erwachsene leidet innerhalb eines Jahres an einer klinisch relevanten, psychischen Störung. Eine große Herausforderung für alle. Für die Betroffenen. Für das Gesundheits- und Versorgungssystem. Und auch für Freunde und Familie. Ich kann das verstehen. Die Hemmschwelle, Menschen auf ihre psychische Gesundheit anzusprechen, ist groß. „Darf man das denn überhaupt?“ „Unbedingt!“, meint Psychologin Irene Rah, die als MHFA (Mental Health First Aid) Instruktorin Ersthelferkurse für mentale Gesundheit anbietet. Ich möchte mehr darüber wissen. Und melde mich an ...</p> <p style="">Der Kurs ist ausgebucht. Mit mir haben sich zwölf Frauen und Männer unterschiedlichen Alters (ab 18 Jahren) dazu entschieden, sich in dem zwölfstündigen Präsenzkurs zu zertifizierten Ersthelfenden ausbilden zu lassen. Das interaktive Schulungsprogramm basiert auf einem Fünf-Stufen-Prinzip und gilt als führend in der Ausbildung von Ersthelfenden. Geleitet wird der Kurs von der Münchner Psychologin Irene Rah. Mental Health First Aid (MHFA) stammt aus Australien und wurde dort schon im Jahr 2000 von Professor Tony Jorm, einem anerkannten Wissenschaftler für die Früherkennung psychischer Störungen, und Betty Kitchener, einer Gesundheitspädagogin und examinierten Krankenschwester, die selbst von einer psychischen Störung betroffen war, entwickelt. „Inzwischen existiert das Programm in 29 Ländern, und über sechs Millionen Menschen haben den Kurs erfolgreich absolviert,“ erklärt uns die Psychologin. Die Motive der Teilnehmenden sind vielfältig und reichen von Neugier über persönliche Schicksalsschläge bis zu Personalverantwortung. „Wir alle kennen Menschen, die mit psychischen Nöten oder Herausforderungen zu kämpfen haben – sei es in der Familie, im Freundes- oder Kollegenkreis“, führt Irene Rath aus. „Je früher sie professionelle Hilfe erhalten, desto größer sind die Chancen, dass sie wieder gesund werden. Deshalb ist es so wichtig, psychische Gesundheitsprobleme rechtzeitig zu erkennen, verständnisvoll auf Betroffene zuzugehen und ihnen Unterstützung anzubieten.“</p> <p style="">Eine Expertenrolle übernehmen MHFA-Ersthelfer dabei allerdings nicht. Vielmehr geht es darum, Menschen, die einem vertrauen, die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen und über mögliche Hilfsangebote zu sprechen. „Ersthelfende sind keine professionellen Therapeuten und nicht dafür verantwortlich, ob eine Person tatsächlich etwas verändern möchte. Ersthelfende können nur anregen, ermutigen und unterstützen.“</p> <h2 id="ueber-mentale-gesundheit-zu-sprechen-sollte-normal-sein">Über Mentale Gesundheit zu sprechen sollte normal sein!</h2> <p style="">Die Stimmung ist – trotz der ernsten Thematik – gelöst. Wir tauschen uns auch in Kleingruppen immer wieder zu konkreten Fallbeispielen aus und erarbeiten Vorgehensweisen entlang des Stufen-Prinzips. Das vermittelt Anhaltspunkte im Bezug auf psychische Erkrankungen und beantwortet Fragen, die im Umgang mit Betroffenen aufkommende Unsicherheiten reduzieren. „Viele Menschen sind sich der Anzeichen psychischer Gesundheitsprobleme nicht bewusst,“ erklärt die Psychologin. „Sie glauben, dass sie es alleine schaffen müssen, wodurch sie weitere Lasten auf sich nehmen.“ Außerdem kennen viele Menschen die zahlreichen, niederschwelligen und kostenfreien Hilfsangebote nicht.</p> <p style="">Laut Rah können MHFA Ersthelfende dafür sorgen, dass sich Betroffene nicht mehr allein gelassen fühlen und die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Für mich eine echte Überwindung: den Suizidgedanken der Betroffenen im Rollenspiel konkret abzufragen. Meine Angst, mein Gegenüber damit vor den Kopf zu stoßen und zu verärgern ist dabei anfangs ebenso groß, wie die vor einem aufrichtigen Ja. Die Psychologin erklärt: „Feinfühligkeit und aktives Fragen sind entscheidend. Wir müssen verstehen, dass Suizidgedanken Symptome psychischer Störungen wie einer Depression sein können. Wenn wir nicht darüber sprechen, ändert sich nichts."</p> <p style="">Als ich nach der bestandenen Prüfung mein Zertifikat in den Händen halte, bin ich stolz. Stolz darauf, mich der Herausforderung gestellt zu haben. Ich bin sehr sensibel und hatte Angst, mich schnell in den Schicksalen Betroffener zu verlieren. Die Realität war aber eine andere! Ich fühle mich bevollmächtigt und bin definitiv wachsamer geworden. Auch mir selbst gegenüber. Denn wir alle können von psychischen Erkrankungen betroffen sein. Es lohnt sich also, unsere mentale Gesundheit im Blick zu behalten. Das Fazit von Irene Rah: „Mentale Gesundheit ist ein Kontinuum, auf dem wir uns im Leben bewegen. Jeder von uns kann betroffen sein, wenn wir mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert werden – sei es eine Kündigung, eine körperliche Erkrankung oder eine Trennung. Kurzum: Es ist menschlich! Das sollte unsere Haltung prägen.“</p>