<p style=""><strong>Die Schriftstellerin und Journalistin kämpft seit vielen Jahren für eine diversere Gesellschaft. Ihre Erfahrungen nutzt sie nun und macht kluge Vorschläge, wie wir on- und offline aus der immer stärker werdenden Radikalisierung herauskommen.</strong></p> <p style=""></p> <p style="">Sanfte Radikalität, das ist für mich die Entscheidung, eine Idee oder ein Projekt wirklich in die Welt zu bringen, statt Radikalität nur dafür zu nutzen, jene anzuprangern, die anders denken. Wer Wandel will, muss jene finden und gewinnen, die für eine Sache zu begeistern sind, statt auf Radikales mit derselben Art von Radikalität zu antworten. Das bedeutet nicht, schwächer zu sein, sich übergehen zu lassen, es bedeutet lediglich, dass Zustände, die sich verändern sollen, nicht besser werden können, wenn die Menschen, die sie verbessern wollen, auf dem Weg dorthin ihre Werte und, ja, ihre Sanftmut verlieren. In den vergangenen 15 Jahren schrieb und arbeitete ich oft zu den Themen Minderheitenrechte, Feminismus, schrieb für einen emanzipatorischen Wandel in einer Gesellschaft, in der die Machtverhältnisse etabliert zu sein schienen.</p> <p style="">Genau genommen fing ich schon im Studium damit an. Ich entschied mich jedoch nach einigen Jahren dafür, nicht nur durch Vorträge, Bücher und Konferenzen den Blick auf die Welt, in der ich lebe, mitgestalten zu wollen, sondern auch durch Handeln. Mag sein, dahinter steckte der Wunsch, die eigenen Ideen und Utopien auf ihre Umsetzbarkeit und Gegenwartsfähigkeit hin zu prüfen, vielleicht war es auch nur die Naivität, zu glauben, ich könne tatsächlich etwas ausrichten. Ich, im Sinne eines jeden Einzelnen. Dieses „etwas bewegen“ war nicht einfach, es forderte viele Lernprozesse von mir und den Menschen, mit denen ich arbeiten und Dinge bewegen wollte. Aber mit der Zeit stellte sich heraus, oder zumindest ich musste feststellen, dass Bewegung nicht entsteht, weil man sie laut schreiend fordert, sondern weil man leise, aber beharrlich Erlebnisse und Räume schafft, die das Denken verändern und insbesondere das Vertrauen in die Veränderbarkeit der Umstände, in denen man lebt. Je handlungsfähiger ich und die Menschen, mit denen ich Ideen umsetzten durfte, wurden, desto mehr entfernte ich mich von der diskursiven Radikalität, die heute oft den Ton bestimmt, gerade auch bei vielen meiner Generation, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, die sogenannte Gesellschaft vor allem durch Diskurse, Debatten und Diskussionen wahrnahmen und zu beeinflussen versuchten. Für manche wurde ein Hot Take wichtiger als der Langzeiteffekt ihrer Gedanken und der daraus erwachsenden Handlungen.</p> <p style="">Während in den letzten zehn Jahren sowohl von Feministinnen als auch von Menschenrechtskämpferinnen die „Wut“ als verändernde Kraft gepriesen und zurückerobert werden sollte, distanzierte ich mich im selben Maße von dieser Emotion, wie es mir gelang, etwas Reales aufzubauen. Wut erschien mir eher wie eine zersetzende Kraft, die vor allem jene frisst, die meinen, man brauche sie, um glaubwürdig auf Unrecht zu reagieren und es anzuprangern. Es kam so, dass einige mir sogar vorwarfen, einfach nicht ausreichende Marginalisierungserfahrungen gemacht zu haben, um Wut verstehen zu können, als bräuchte es die Bereitschaft, Gefühle öffentlich zur Schau zu stellen, um glaubwürdig zu sein. In einer emotionalisierten Gesellschaft wird die Emotion zur Währung, zu dem, was einen vermeintlich authentisch macht, nicht das Argument zählt, sondern vor allem die Emotion.</p> <p style="">Wie sehr gerade diese Emotion mir jedoch schadete und mich in die Opferrolle presste, spürte ich schnell. Ich suchte bei Persönlichkeiten, deren Denken und Schreiben mich seit jeher geprägt hatten, und fand nicht zuletzt in einem Interview von Toni Morrison eine Haltung, in der ich mich bestätigt fühlte in meinem Misstrauen gegen die Wutmanie: „Anger … is a paralyzing emotion … you can’t get anything done. People sort of think it’s an interesting, passionate and igniting feeling – I don’t think it’s any of that – it’s helpless … it’s absence of control – and I need all of my skills, all of the control, all of my powers … and anger doesn’t provide any of that – I have no use for it whatsoever.“</p>