<h2 id="kriege-und-krisen-verunsichern-gerade-tief-doch-es-gibt-wege-seine-seele-zu-schuetzen-und-optimistisch-zu-bleiben">Kriege und Krisen verunsichern gerade tief. Doch es gibt Wege, seine Seele zu schützen und optimistisch zu bleiben</h2> <p style="">Es steht außer Frage: Wir leben in krisenhaften Zeiten, und das nicht erst, seit Russland die Ukraine angegriffen hat und im Nahen Osten Krieg herrscht. Bereits mit dem Ausbruch der Coronapandemie Anfang 2020 ging unserer Gesellschaft eine grundsätzliche Gewissheit verloren: die Annahme, dass uns acht Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nichts wirklich Schlimmes mehr passieren wird. Wie etwa eine weltweite Pandemie. Oder eben brutale Kriege, nicht weit von uns entfernt. Das ist alles passiert. Dazu kommen Hintergrundgeräusche wie der Koalitionsstreit und die Dauerkatastrophe namens Klimawandel. All diese schlechten Nachrichten erreichen uns (vor allem junge Menschen) ungefiltert auf Smartphones über soziale Medien. Videoschnipsel voller Gewalt, Hass und Unsicherheiten ohne Zusammenhang und Einordnung. Das Trommelfeuer der Schlagzeilen bedeutet jedoch maximalen Stress für unsere Psyche. Die gute Nachricht ist: Wir können die schlechten Nachrichten zwar nicht aus der Welt schaffen, aber wir können unsere Seele so stärken, dass sie besser damit umgehen kann. Es ist eine Art Muskeltraining für die Psyche und Prophylaxe für den Geist: Denn Resilienz, wie diese innere Widerstandskraft in der Psychologie heißt, lässt sich üben.</p> <p style=""><strong>Optimismus kann man lernen</strong></p> <p style="">Dass die seelische Lage der Menschen sich verändert hat, erlebt die Psychotherapeutin <strong>Ursula Nuber</strong> in ihrer Praxis im badischen Ladenburg jeden Tag. Immer häufiger wollen ihre Patienten zu Beginn der Therapiestunde zunächst darüber sprechen, wie sehr die aktuellen Krisen auf ihnen lasten. <em>„Die Menschen erzählen, dass sie schlecht schlafen, dass die Bilder aus den Nachrichten sie belasten und dass sie eigentlich am liebsten nichts mehr davon hören möchten“,</em> erzählt die Diplompsychologin. <em>„Gerade bei den Älteren, die sich noch an den Zweiten Weltkrieg erinnern können, hat der Beginn des russisch-ukrainischen Konflikts etwas ausgelöst. Da kam viel Angst hoch.“</em> Viele ihrer Klienten versuchen es mit einer Vermeidungsstrategie: Sie wollen möglichst wenig von den belastenden Ereignissen lesen, hören oder sehen. Besser geht es ihnen damit allerdings nicht. Auch wer den Kopf in den Sand steckt, weiß, dass die Krisen nicht aus der Welt sind. <em>„Ängste wollen nicht ignoriert werden“</em>, erklärt Nuber. <em>„Sonst kommen sie durch die Hintertür, über Schlafstörungen, Essstörungen, zu viel Alkohol.“</em> Sich nicht mit den inneren Schreckgespenstern auseinanderzusetzen, füttert das ungute Gefühl der Hilflosigkeit – ein sehr probater Weg, um in eine Depression zu rutschen. Wer sich hilflos und von der Komplexität der Geschehnisse überfordert fühlt, neigt außerdem dazu, mentale Abkürzungen zu nehmen in der Hoffnung, dass diese aus dem seelischen Tief führen. <em>„Diese Tendenz macht uns anfällig für allzu einfache Antworten von Populisten und für Fake-Informationen, die auf den ersten Blick plausibel klingen. Weil diese vermeintlichen Lösungen so attraktiv wirken, übernehmen wir sie gern, ohne sie zu überprüfen“</em>, sagt Psychotherapeutin Nuber. Es ist besser, sich aktiv mit Ängsten und Sorgen auseinanderzusetzen: hin- statt wegschauen. Manche fallen jedoch ins andere Extrem: Beim so genannten Doomscrolling (Doom = engl. für Untergang, Verderben) wird nahezu unablässig exzessiv im Internet nach den aktuellsten Nachrichten gesucht. Und weil das World Wide Web niemals schläft, ist dort auch immer wieder etwas Neues zu finden, das dann zu weiteren Seiten führt. Wird das Handy doch einmal weggelegt, machen Push-Nachrichten auf das nächste Untergangsszenario aufmerksam. Diese suchtartige Informationssuche ist ähnlich ungesund für die Psyche wie die Vermeidungsstrategie. <em>„Ich schaufle einsam Informationen in mich hinein wie Chips und fühle mich vielleicht voll, aber nicht gut“</em>, sagt Nuber. Und letztendlich suchen auch Doomscroller nur verzweifelt nach der einen Nachricht: Alles ist wieder gut. Das tägliche Ausbleiben dieser Top-News aber zieht sie immer weiter hinab ins seelische Tief.</p> <p style=""><strong>Schreckensnachrichten üben einen Sog aus</strong></p> <p style="">Die Faszination für gefährliche Szenarien ist tief in unserem Hirn verankert: Bei unseren Steinzeitvorfahren hatte derjenige die beste Überlebenschance, der sich auf den Angriff des viel zitierten Säbelzahntigers eingestellt und vorbereitet hatte. Wenn das Raubtier dann allerdings erlegt oder vertrieben war, konnte der frühe Homo sapiens in seiner Höhle den Stress in aller Ruhe verarbeiten. Säbelzahntiger-Videos in Endlosschleife dagegen hätten – vereinfacht gesagt – auch bei ihm dazu geführt, dass sein Hirn ununterbrochen Cortisol ausschüttet. Dieses Hormon orchestriert, dass alle Körperzellen mit mehr Energie versorgt werden, was eigentlich eine gute Sache ist: Im Fight-or-Flight-Modus sind wir hellwach, konzentriert, schnell. Für ein Cortisol-Dauerfeuer aber ist unser Körper nicht gemacht. Irgendwann signalisiert das Hirn: Gefahr gebannt! Tut es das nicht, werden unsere Zellen weiter mit Stresshormonen geflutet. Und das macht krank. Es fällt dem modernen Menschen enorm schwer, Unsicherheiten auszuhalten. Keine Antwort zu bekommen, sie auch nicht finden zu können, ist für die Generation Google eine ungewohnte und unangenehme Erfahrung. Aber wir sollten uns bewusst sein, dass wir nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft wieder verstärkt Unsicherheiten aushalten müssen. <em>„Es ist eine große psychische Stärke und ein Zeichen für Resilienz, wenn man akzeptiert, dass es nicht immer eine befriedigende Antwort auf eine Herausforderung gibt, und man trotzdem weitermachen kann“</em>, sagt Ursula Nuber.</p> <p style=""><strong>Rüstzeug für die Seele</strong></p> <p style="">Selbstwirksamkeit heißt dieses wichtige Element der Resilienz. <em>„Es gibt in jeder Situation Anteile, die ich akzeptieren muss, und solche, die ich beeinflussen kann“</em>, sagt die klinische Psychologin <strong>Prof. Michèle Wessa</strong>. <em>„Es ist immer möglich, nicht nur das Unvermeidbare und Unkontrollierbare zu sehen, sondern auch das, was ich selbst tun kann.“</em> Die Wissenschaftlerin forscht am Mainzer Leibniz-Institut für Resilienz gemeinsam mit der Psychiaterin <strong>Prof. Marianne Müller</strong>. Wissenschaftlerin Wessa weiß aus ihren Forschungen: <em>„Wir können Stress und Lebenskrisen nicht verhindern. Aber wir können entscheiden, wie wir darauf reagieren.“</em></p> <p style="">Ins Handeln kommen, statt zu jammern – und dabei merken, dass auch vermeintlich kleine Aktionen etwas ändern können: Wer auf Demos Solidarität mit Terroropfern signalisiert, mit Menschen über die Hintergründe diskutiert, Spenden sammelt oder Hilfspakete verschickt, fühlt sich nicht ohnmächtig, sondern glücklich, wie eine Studie der Universität Lübeck herausgefunden hat. Die konkrete Planung und Umsetzung einer „guten Tat“ befreit uns vom Gefühl der Hilflosigkeit und schenkt uns eine Erfahrung in Selbstwirksamkeit.</p> <p style="">Aktiv zu werden, bedeutet dabei nicht, seine Ängste herunterzuschlucken. Auch resiliente Menschen erlauben es sich, Gefühle zuzulassen und auszudrücken. Aber sie bleiben nicht in diesem Stadium stecken, sondern entwickeln sich weiter. Und im besten Fall gehen sie aus jeder Krise gestärkt hervor. Wissenschaftlerin Wessa vergleicht das Üben von Resilienz mit Einheiten im Fitnessstudio oder mit dem Vokabellernen: <em>„Wer nicht lernt, der wird nur einen kleinen Wortschatz haben, aus dem er schöpfen kann. Das Gehirn merkt sich, wie wir auf eine Krisensituation reagiert haben, und kann das in der nächsten Situation abrufen. Je mehr Strategien es kennt, umso besser.“ </em>So wappnen wir unsere Seele auch für persönliche Krisen, die unvermeidlich jedes Leben belasten: Krankheiten, Jobverlust, den Tod eines geliebten Angehörigen. Wer nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Psyche vorsorglich pflegt und auf innere Stabilität achtet, ist auf Schicksalsschläge besser vorbereitet.</p> <figure> <a href="https://media.newsload.de/img/250915-nl~s5vGWRaWb.webp" target="_blank" title="Bild anzeigen"> <img src="https://media.newsload.de/img/250915-nl~s5vGWRaWb.webp?w=1920&h=1080&fit=inside&pfit=contain&sfit=contain&p=c" alt="" loading="lazy" /> </a> <figcaption> © Hubert Burda Media Holding Kommanditgesellschaft </figcaption> </figure> <p style=""><strong>Den Blick für das Gute schulen</strong></p> <p style="">Im Umgang mit der aktuellen Weltlage rät Michèle Wessa, zwar informiert zu bleiben, aber auch zu akzeptieren, dass manche Dinge außerhalb unseres Handlungsbereichs liegen. <em>„Meine Entscheidung ist, wie ich mit meinen Ängsten umgehe. Was hilft mir, was schadet“</em>, sagt sie. Punktuell und bewusst Nachrichten zu konsumieren, dann aber auch wieder in den eigenen Alltag zurückzukehren, ist für viele Menschen die gesündere Strategie.</p> <p style="">Auch die Sicht auf die Habenseite hilft, etwa auf Familie und Freunde, auf Geborgenheit und Gesundheit, Natur und schöne Unternehmungen. Psychologin Nuber ist sich sicher: <em>„Wenn wir darüber nachdenken, werden uns viele Sicherheitsfaktoren einfallen, die uns auch in Zeiten der Unsicherheit tragen können.“</em> Um die seelische Stärke als Persönlichkeitseigenschaft besser zu verstehen, verweist sie auf ein Modell, das heute viele Psychologen und Resilienztrainer verwenden. Danach beruht seelische Widerstandskraft auf sieben Säulen: eine optimistische Grundhaltung, dass sich letztendlich alles zum Guten wandeln wird. Die Akzeptanz, dass Krisen auftreten können und auch werden. Es braucht Lösungsorientiertheit, also die konstruktive, aktive Auseinandersetzung mit privaten und gesellschaftlichen Herausforderungen. Das Verlassen der Opferrolle, also die innere Verweigerung, sich einer Situation kampflos zu ergeben. Die Übernahme von Verantwortung. Starke Netzwerkorientierung, also der langfristige Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen. Zukunftsplanung in Kombination mit Achtsamkeit, also dem bewussten Erleben des Hier und Jetzt. Diese sieben Säulen lassen sich nicht streng voneinander abgrenzen, sie sind miteinander verstrebt und bilden gemeinsam das Stützwerk, das einen Menschen auch in schwierigen Zeiten aufrecht hält und ihm hilft.</p> <p style="">Idealerweise nutzt man gute Zeiten dazu, dieses wertvolle Mindset der Resilienz zu stärken, aber auch Krisen können dazu dienen, die sieben Säulen zu festigen und psychische Fähigkeiten auszubauen. Etwa, indem man seinen eigenen Gedanken bewusst zuhört oder diese aufschreibt und mit etwas Abstand durchliest. Und sich dabei kritisch überprüft: Neige ich zum Pessimismus? Sehe ich überall Katastrophen? Welche Szenarien entsprechen der Realität? Oder habe ich vielleicht nur die Meinungen anderer übernommen? Sehe ich mich als hilflos an oder als jemanden, der wertvoll ist und sich gesellschaftlich einbringen kann?</p> <p style=""><strong>Die Zukunft positiv planen</strong></p> <p style="">Die Diplompsychologin und approbierte Psychotherapeutin <strong>Cora Besser-Siegmund</strong> beschäftigt sich seit den 80er-Jahren mit Schmerz- und Traumatherapie und hat daraus einen Coachingansatz entwickelt, der ganz praktisch hilft, positive Emotionen zu kultivieren und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. In ihrem Buch „Zukunfts-Resilienz – Stark werden in Krisenzeiten“ beschreibt sie Selbstcoaching-Methoden wie das Visualisieren des eigenen Ichs in zwanzig oder dreißig Jahren: Wie sehe ich aus? Mit welchen Menschen verbringe ich meine Zeit? Wie habe ich es geschafft, auf die Untiefen dieses Lebens resilient zu reagieren? <em>„Menschen hatten schon immer das Bedürfnis, in die Zukunft zu schauen. Orakel, Tarotkarten, Wahrsager gab es schon vor langer Zeit“</em>, sagt sie. Die Methoden der Zukunfts-Resilienz nutzen die Tatsache, dass unser Kopfkino eine ähnliche emotionale Wirkung auf die Sinne hat wie Dinge, die wir jetzt erleben. Wie das funktioniert, zeigt ein einfaches Verfahren aus der Mentalpsychologie: Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich eine frisch aufgeschnittene Zitrone vor. Der Effekt ist derselbe, wie wenn die Zitrone auf dem Schneidebrett vor Ihnen liegt: Der Gedanke reicht, um den Speichelfluss anzuregen. Ein anderes Beispiel kommt aus der Hypnoseforschung. Bei Sportlern verursacht die mentale Vorwegnahme von Bewegungen eine messbare Erregung in den Gehirnzellen, die für Bewegungskoordination verantwortlich sind. „<em>Die Dinge, mit denen ich mich im Kopf beschäftige, haben einen Einfluss auf meine subjektive Lebensqualität“,</em> so Besser-Siegmund. Ein starkes Argument für positives Gedankenmanagement. Wer sich sein künftiges Ich mutig, gelassen, ideenreich, flexibel und widerstandsfähig imaginiert, habe gute Chancen, dass es auch dazu kommt: „<em>Es geht dabei nicht darum, sich die Zukunft nur in schönem Rosarot auszumalen. Schicksalsschläge sind unvermeidlich. Aber wir können uns dafür im positiven Sinne wappnen.“</em></p> <p style="">In ihrer Praxis unterstützt die Psychologin Übungen zur konstruktiven Lebensgestaltung mit der von ihr und ihrem Mann entwickelten Wingwave-Methode. Dabei erzeugt der Coach durch schnelle Handbewegungen „wache“ REM-Phasen, die Menschen sonst nur im nächtlichen Traumschlaf durchlaufen. REM steht für Rapid Eye Movement, schnelle Augenbewegungen. Erstmals genutzt wurde die Methode bei posttraumatischen Störungen in den 80er-Jahren. Was lange als „Winke-winke-Therapie“ abgetan wurde, ist heute gut erforscht: Die wachen Augenbewegungen lösen – anders als der fixierte Blick – stresslindernde Reaktionen aus. Sie aktivieren den präfrontalen Kortex im Großhirn und verbessern die Vernetzungsleistung zwischen den Gehirnhälften und verschiedenen Gehirnarealen. Auch Töne oder spezielle Musikstücke haben resilienzstärkende Effekte und lassen sich gut in den Alltag integrieren, indem man sie, zum Beispiel, beim Joggen hört.</p> <p style="">Einen wichtigen Rat aber hat Besser-Siegmund aus ihrer langen Praxiserfahrung: Wer sich sehr stark belastet fühlt und Traumatisierendes erlebt hat, sollte sich so schnell wie möglich professionelle Hilfe suchen, bevor sich psychische Erkrankungen verfestigen. Eben wie beim Zahnarzt: <em>„Ich kann viel für die Prophylaxe tun, aber wenn ich eine neue Krone brauche, mache ich mir ja auch einen Termin in der Praxis.“</em> Letztlich bedeutet Resilienz, sensibel zu bleiben für das Leiden der vielen krisenbelasteten Menschen und auch die eigenen Nöte anzuerkennen, ohne sich im Schmerz zu verlieren. Ein echter Balanceakt.</p>