<p style=""><strong>Manche neigen dazu, es immer allen recht machen zu wollen und ihre eigenen Wünsche intanzustellen. Warum es zum People Pleasing kommt und wie man es durchbricht, erklärt Health und Business Coach Dr. Kirsten Schlömer im My Life-Interview</strong></p> <p style="">Kennen Sie das? Jemand bittet Sie um einen Gefallen, und obwohl es Ihnen gar nicht so gut passt, sagen Sie zu. Ein Freund schuldet Ihnen Geld, sie trauen sich aber nicht, ihn darauf anzusprechen? Oder Sie halten mit einer Meinung hinterm Berg, weil sie nicht anecken wollen? Das kann jetzt einfach höflich sein, es könnte sich aber auch um das sogenannte „People Pleasing“ handeln. Es entspringt folgender innerer Überzeugung: Die anderen kommen zuerst – und ich ordne meine Bedürfnisse ihren Erwartungen und Wünschen unter, um Zustimmung und Anerkennung zu erhalten. Diese innere Regel manifestiert sich in übertriebener Anpassung oder Zugeständnissen und kann in allen Bereichen zwischenmenschlicher Beziehungen auftreten. Wichtig ist, dass People Pleasing keine Krankheit oder offizielle Diagnose ist. Es ist ein Verhalten, das durch blockierende Denkmuster hervorgerufen wird. Die gute Nachricht: Dieses Verhalten ist veränderbar! Health und Business Coach Dr. Kirsten Schlömer erklärt wie. ?</p> <p style=""><strong>Frau Dr. Schlömer, aus welchen Gründen will man eigentlich von allen gemocht werden?</strong></p> <p style="">Menschen, die zu People Pleasing neigen, möchten unangenehme Gefühle und Gedanken vermeiden, die entstehen, sobald sie es anderen nicht recht machen können. Damit geht einher, dass sie viel tun, um Harmonie zu erhalten oder herzustellen. Sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Bindung im Sinne von sozialer Nähe, engen und stabilen Beziehungen und ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Stärkung des Selbstwertgefühls. Darüber hinaus möchten sie andere auf keinen Fall enttäuschen, alle (vermeintlichen) Erwartungen erfüllen und alles tun, um beliebt zu sein. Sie wollen auch, dass andere Menschen sie wertschätzen und gut über sie denken. Menschen, die zu People Pleasing neigen, haben zudem häufig Angst vor Ablehnung und möchten ihre Akzeptanz steigern. Dabei kann die Angst mitschwingen, verlassen oder enttäuscht zu werden. People Pleasing kann auch (unbewusst) darauf abzielen, gesellschaftlichen Normen und Erwartungen zu entsprechen. Wichtig ist: Diese Gründe sind nicht abschließend und immer individuell.</p> <figure> <a href="https://media.newsload.de/img/250915-nl~hxAsEIrEm.webp" target="_blank" title="Bild anzeigen"> <img src="https://media.newsload.de/img/250915-nl~hxAsEIrEm.webp?w=1920&h=1080&fit=inside&pfit=contain&sfit=contain&p=c" alt="" loading="lazy" /> </a> <figcaption> © Hubert Burda Media Holding Kommanditgesellschaft </figcaption> </figure> <p style=""><strong>Der Mensch ist ein Herdentier – will er auch deshalb den anderen gefallen?</strong></p> <p style="">Auf jeden Fall! Dies ist von dem besonders stark ausgeprägten Wunsch nach Bindung umfasst. Das Gefühl der Zugehörigkeit, z. B. zu einem Freundeskreis oder einem kollegialen Umfeld, ist ein Grund für People Pleasing. ?</p> <p style=""><strong>Wer nie Grenzen setzt, riskiert, ausgenutzt zu werden. Ist das eine Gefahr?</strong></p> <p style="">Diese Frage kann aus meiner Sicht nicht pauschal beantwortet werden. Denn die Ausprägungen und die Bereiche, in denen People Pleasing auftritt, können sehr unterschiedlich sein. Außerdem haben People Pleaser besonders gute und gesellschaftlich erwünschte Eigenschaften: Sie sind freundlich, einfühlsam, hilfsbereit und sensibel. Gerade diese Fähigkeiten sind für das Zusammenleben wichtig. Im beruflichen Kontext kommt es jedoch häufig vor, dass Menschen, die zu People Pleasing neigen, ihre Ziele nicht erkennen oder nicht konsequent verfolgen können, weil sie die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen stellen. Dadurch übernehmen sie oft Aufgaben, die sie nicht angemessen fordern und mit denen sie nicht glänzen können. Es kann durchaus vorkommen, dass das Umfeld die gelebte Hilfsbereitschaft überstrapaziert und z. B. Fleißaufgaben bewusst abwälzt. Dies kann zumindest unterbewusst dazu führen, dass man von Kolleginnen und Kollegen weniger ernst genommen wird. Im privaten Bereich kann es wiederum sein, dass People Pleaser extrem geschätzt und geliebt werden und man sich in ihrem Umfeld besonders wohlfühlt. Denn Menschen mit People Pleasing-Tendenzen sind empathisch und setzen sich extrem für ein gutes Miteinander ein. Ist jedoch direkt erkennbar, dass sich jemand permanent sehr verbiegt und seine Interessen verleugnet, wird das Umfeld die negativen Folgen von People Pleasing erleben: Es kann zu Unzufriedenheit, Gereiztheit und gesundheitlichen Problemen wie Schlaflosigkeit und Erschöpfung führen. Dies lässt sich auf Dauer nicht verbergen und kann zu Unverständnis, Mitleid oder auch zum Verlust der Augenhöhe führen. ?</p> <p style=""><strong>Ist People Pleasing eher weiblich?</strong></p> <p style="">People Pleasing ist kein rein weibliches Phänomen, jedoch neigen Frauen deutlich häufiger dazu, ihre Interessen hinter die anderer zurückzustellen. Einen Hauptgrund dafür sehe ich in dem gesellschaftlich geprägten Frauenbild der „Kümmerin“, das auch heute noch in unseren Köpfen existiert und vielerorts die Realität spiegelt. Zum Beispiel übernehmen Frauen auch heute noch den Großteil der häuslichen Sorgearbeit, die gesellschaftlich leider immer noch nicht anerkannt wird – auch wenn wir in Sachen Gleichberechtigung viel erreicht haben. Hier spielen gesellschaftliche Erwartungen und Normen eine Rolle. Denn dieses historisch gewachsene Frauenbild und die damit verbundenen Rollenklischees lassen sich nicht im Handumdrehen beseitigen. Ein Beispiel wurde mir am Wochenende vor Augen geführt, als ich in einem Restaurant in Hamburg auf einer Angebotstafel las: „Matjesfilet in Hausfrauensoße …“. ?</p> <p style=""><strong>Wird die Wahrscheinlichkeit, ein People Pleaser zu sein, schon in die Wiege gelegt?</strong></p> <p style="">Elterliche Prägungen, vorgelebte Rollenverständnisse und vermittelte gesellschaftliche Normen können wesentlich zu persönlichen Überzeugungen und Denkmustern beitragen. Sie machen einen großen Anteil aus, sind aber meines Erachtens nicht allein ausschlaggebend für diese Überzeugungen. Die Ursachen für People Pleasing sind immer multifaktoriell. Man muss sich vor Augen halten, dass wir als erwachsene Menschen stets für unsere Entscheidungen verantwortlich sind. Es ist möglich, Denkmuster zu durchbrechen und anders zu denken und zu handeln. Meist erkennen wir diese Muster jedoch nicht – und das ist mitunter das Tückische an People Pleasing. ?</p> <p style=""><strong>Man kann nicht jedem gefallen, wie gehen People Pleaser mit Zurückweisung um?</strong></p> <p style="">Menschen, die sich selbst verleugnen und ihre Interessen hinter die Interessen anderer stellen, haben oft nicht das Bewusstsein, dass sie einfach keinen Einfluss darauf haben, was Dritte wirklich denken. Zurückweisungen werden von Menschen mit Selbstverleugnungstendenzen oft als beschämend und besonders verletzend erlebt. Daraus kann ein erhöhter Druck entstehen, mehr Anerkennung zu erhalten. Ein Beispiel dafür ist das Verharren in toxischen Beziehungen. ?</p> <p style=""><strong>Ist Ablehnung für sie also schlimmer?</strong></p> <p style="">Das Empfinden bei einer Zurückweisung ist für jeden Menschen auf andere Art und Weise schlimm. Ich denke, man kann diese Gefühle nicht konkret messen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Menschen mit People PleasingTendenzen sensibler reagieren. Man kann es sich so vorstellen, dass noch mal eine Extraportion Salz in eine „offene Wunde“ gestreut wird – und das bei Menschen, die sich ohnehin zu viele Gedanken machen und vielleicht dadurch schon gesundheitlich mitgenommen sind. Stellen wir unsere Bedürfnisse permanent zurück und arbeiten gegen unsere Werte und Wünsche, führt dies auf Dauer zu Stress und zu Folgeerscheinungen und –krankheiten. ?</p> <p style=""><strong>Was kann Menschen, die sich immer anpassen, denn passieren?</strong></p> <p style="">People Pleasing verursacht gesundheitliche Probleme – auf körperlicher, psychischer und mentaler Ebene. Körperliche Symptome sind z. B. eine Schwächung des Immunsystems und die Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf- sowie des Verdauungssystems. Psychische Symptome können Gedächtnisstörungen, Entscheidungsschwierigkeiten, negative Gedankenspiralen, Reizbarkeit, verminderte Motivation, Ängste und Depressionen sein – im schlimmsten Fall bis zum Burn-out. Mentale Symptome sind z. B. innere Unruhe, das Gefühl von Überforderung, Selbstzweifel, soziale Isolation und Sinnkrisen. ?</p> <p style=""><strong>Also sollte man sich stets an die erste Stelle setzen. Ist das aber nicht sehr egoistisch?</strong></p> <p style="">Es ist essenziell für unser Wohlbefinden, insbesondere unsere mentale Gesundheit, sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Und das ist weder egoistisch oder ignorant, sondern bedeutet, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Nur dann, wenn es uns gut geht und wir unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen ernst nehmen, können wir uns auch gut um andere kümmern. Vielen Menschen ist nicht klar, wie wichtig Selbstliebe und Selbstfürsorge sind – und dass es eine dauerhafte Aufgabe ist! ?</p> <p style=""><strong>Was ist eigentlich der Unterschied zwischen People Pleasing und Altruismus?</strong></p> <p style="">Sowohl der People Pleaser als auch der Altruist unterstützen und helfen gerne. Altruisten aber handeln selbstlos und aus intrinsischer Freude am Helfen. Sie werden von Mitgefühl und Empathie für die Notlage anderer angetrieben. Altruisten handeln, ohne ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen und erleben dadurch Zufriedenheit, Sinnhaftigkeit und ein gestärktes Selbstwertgefühl.</p>